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Diskurs
08. Dezember 2016

Herrenhäuser Wirtschaftsforum 2016 – „Dichtmachen, abgrenzen, abschotten - War’s das mit der Globalisierung?“

300 Gäste verfolgten Diskussion in der Galerie Herrenhausen.

Über 300 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Medien verfolgten am Donnerstagabend die siebte Auflage des Herrenhäuser Wirtschaftsforums in der Galerie Herrenhausen in Hannover. 

„Eine wachsende Unsicherheit greift um sich, lange Zeit Vertrautes steht über Nacht in Frage. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen zu stehen." Mit diesen Worten begrüßte Dr. Volker Schmidt im Namen der Arbeitgeberverbände im Haus der Industrie die Gäste in der Galerie Herrenhausen. „Darüber wollen wir heute Abend sprechen, in einem ohne Zweifel hochpolitischen Diskurs, der wirtschaftspolitische Ursprünge hat - aber auch enorme Konsequenzen für unsere exportorientierte Wirtschaft und für jeden Einzelnen von uns haben kann.“ 

Herrenhäuser Wirtschaftsforum 2016

So begründete Dr. Volker Schmidt, gemeinsam mit Industrie-Club-Präsident Dr. Guido Rettig Gastgeber des Abends, die Themenwahl. „Als Arbeitgeberverband verstehen wir es immer auch als unsere Aufgabe, gesamtgesellschaftliche Diskussionen anzustoßen und zu begleiten.“ 

TV-Moderatorin Susanne Holst führte zusammen mit Ko-Moderator Martin Brüning, Chefredakteur des Niedersächsischen Politikjournals Rundblick, durch den Abend.

Mit Johann-Friedrich Dempwolff, Geschäftsführer bei Johnson Controls Power Solutions, und WABCO-Deutschland-Chef Jürgen Heller beleuchteten außerdem zwei Vertreter von Unternehmen das Thema, die stark am Standort Hannover verankert sind, aber in ihrer jeweiligen Branche täglich vor den großen Herausforderungen der globalisierten Märkte stehen. 

Den Auftakt machte jedoch der Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Prof. Marcel Fratzscher mit einem Impulsvortrag zum Thema des Abends „Dichtmachen, abgrenzen, abschotten – War‘s das mit der Globalisierung?“. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die soziale Ungleichheit, die auch in Deutschland herrsche. Gründe dafür seien für ihn jedoch nicht die Risiken der Globalisierung, sondern vielmehr der technologische Wandel, verunsichernde Institutionen sowie fehlende Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung: „Die Frage ist doch: setzen wir die globalen Standards für die Zukunft oder überlassen wir das Feld lieber anderen? Die Kunst wird sein, die soziale Ungleichheit in der Globalisierung mit zu berücksichtigen, den Menschen die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und sie mit profitieren zu lassen.“ Das sei die zentrale Herausforderung für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. 

In der anschließenden Podiumsrunde diskutierte Prof. Fratzscher mit Dr. August Hanning, ehem. Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Prof. Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen und Norbert Haug, ehem. Motorsport-Chef Mercedes-Benz und ARD-Kommentator, über die Zukunft der Globalisierung und ihre eventuellen Grenzen. 

Insbesondere der Wandel der politischen Kommunikation war Thema der Runde. Haug wünschte sich beispielsweise mehr klare Worte - auch, wenn sie unangenehm sein sollten: „Außerdem sollten Dinge zu Ende gedacht werden, um sich die Konsequenzen des Handelns vor Augen zu halten.“ Für Prof. Fratzscher bedeute Globalisierung auch in gewisser Weise ein Kontrollverlust: „Denn sie bedeutet, Standards global zu setzen.“ Ein Ziel sei es daher, diesen Verlust auch als ein Gewinn an Freiheiten zu sehen. 

Für Prof. Korte schlägt sich das vor allem im in der neuen, so noch nicht gekannten Korrelation von Politikverdrossenheit und Medienverdrossenheit nieder: „Eine antielitäre Wut greift immer mehr um sich. Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in Medienvertreter und verlieren gleichzeitig das Vertrauen in die Politik.“ 

Hier knüpfte Dr. Hanning an: „Die Migrationswelle im letzten Jahr hat vielen den Eindruck vermittelt, dass die eigenen Grenzen nicht mehr geschützt werden können. Es wurde ein Gefühl der Ohnmacht hinaufbeschworen. Dieser Eindruck des Kontrollverlusts hat dafür gesorgt, dass sich bei vielen subjektiv ein starkes Unsicherheitsgefühl eingestellt hat.“ 

Für Graf Lambsdorff gibt es allerdings nicht nur einen gefühlten Kontrollverlust: „Das war realer Kontrollverlust. Die Menschen in Deutschland sind bereit, mit einem Wandel zu leben – aber der muss demokratisch und kontrolliert sein und erklärt werden.“ Er skizzierte hier eine der aus seiner Sicht Hauptaufgaben der Politik: „Die Menschen wollen eine Gesellschaft, in denen sie sich persönlich sicher fühlen. Daran muss ich Politik orientieren, wenn wir die Leute nicht an die politischen Ränder verlieren wollen.“ 

Mittlerweile seien es auch die gefühlten Wahrheiten, die eine elementare Rolle spielen, wie es der Vizepräsident des europäischen Parlaments ausführte: „Beim Brexit war viel Angstmacherei im Spiel, in Deutschland lässt sich das bei der Anti-TTIP-Kampagne wieder erkennen. Hier können sich Fakten kaum noch durchsetzen.“ 

Prof. Korte fasst das in dem derzeit populären Begriff „Truthiness“ zusammen: „Wahrheit entsteht mittlerweile bei vielen dadurch, dass sie sich wahr anfühlt. Das führt jedoch zu einem moralischen Autismus.“ Hinzu käme eine latente Angst vor Veränderung. „Die neueste Form der Angst in Deutschland ist Reichweitenangst: wie weit komm ich mit meinem Hybrid?“, formulierte er scherzhaft, um dann aber eine deutliche Mahnung auszusprechen: „Diese Verbindung aus gefühlten Wahrheiten gepaart mit der weit verbreiteten Angst vor Neuem ist ein Killervirus für die Demokratie.“ 

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